Feuerwerk mit Rie

Ruhig aber sehr bestimmt schaut Rie mich an und meint: „Und um 12 wird das Licht ausgemacht!“ Oookay, vermutlich schlafe ich nach diesem Tag eh schon viel früher ein.

Etwa sechs Stunden hat mich die Fahrt von Ise nach Matsuyama gekostet. Immerhin: In Japan kann man sich auf die Bahnverbindungen weitgehend verlassen. Sogar ein Zugwechsel, für den ich grade mal fünf Minuten hatte, hat reibungslos geklappt.

Und jetzt bin ich also auf Shikoku, einer der vier japanischen Hauptinseln. Shikoku ist aber nicht nur deutlich kleiner als Honshu, die Hauptinsel, auf der Tokyo, Kyoto und die meisten anderen, im Westen bekannten, Städte liegen. Shikoku ist auch ländlicher als Honshu. Matsuyama ist die größte Stadt hier, Hauptstadt der Präfektur Ehime.

Das Hostel „Guesthouse Fujiya“ ist winzig. Ein kleines japanisches Haus mit vier Zimmern und offenem Dachstuhl. Rie schmeißt den Laden und wohnt auch hier. Es ist mehr eine Wohngemeinschaft als ein typisches Hostel. Alles fühlt sich ein bisschen heimeliger an – auch, oder grade weil das kleine Häuschen ein bisschen Museum und ein bisschen Rumpelkammer ist.

Und dann ist da Rie, die Managerin und einzige feste Bewohnerin dieses Mini-Universums.

Rie erzählt mir, dass sie nach ihrem High-School-Abschluss eine Weile in Deutschland gelebt hat, in Solingen. Später an diesem Tag kommt dann auch eine deutsche Austausch-Studentin im Hostel an. Irgendwann fragt Rie, ob wir beide, die Studentin und ich, nicht Lust hätten, gemeinsam mit ihr ein Feuerwerk an diesem Abend anzusehen.

Was für ’ne Frage – klar haben wir Lust!

Feuerwerke, japanisch „Hana-bi“ (花火) gibt es jetzt im Hochsommer so gut wie jeden Abend irgendwo in Japan. Rie zeigt uns in einem Eventmagazin, wie viele Feuerwerke es in den kommenden Tagen alleine auf Shikoku geben wird – es sind Dutzende.

Um sechs machen wir uns in Ries kleinem Auto auf die Socken. Eine halbe Stunde müssten wir wohl fahren, hatte Rie vorher gesagt. Am Ende wird es ein bisschen mehr, denn trotz Google Maps auf dem Smartphone und voller Konzentration verfährt sie sich einmal. Macht nichts – heute haben wir Zeit.

Schließlich kommen wir in dem Küstenort an, wo heute Abend das Feuerwerk stattfinden soll. Am Strand ist es schon voll. Die Menschen drängen sich an Ständen mit den verschiedensten Snacks und Getränken. Viele tragen die leichten Sommerkimonos „Yutaka“. Kinder können noch ihr Glück beim Goldfischangeln versuchen bevor es dann endlich los geht.

Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob ich irgendwann mit offenem Mund in den blauschwarzen Himmel gestarrt habe, aber es ist lange her, dass ich eine Stunde lang völlig gefesselt einem Feuerwerk zugeschaut habe.

Am Ende sind wir alle sehr still auf dem Weg zurück nach Matsuyama.

Am nächsten Morgen sitzt Rie mit einem Eiskaffee bewaffnet vor dem Fernseher. In Tokyo (wo sie auch eine Weile gelebt hat), ist eine neue Gouverneurin gewählt worden. Rie ist wenig begeistert, denn die neue Chefin der Mega-Metropole tritt für Atomkraft ein. Eine Haltung, die Rie nicht versteht. Fukushima, so sagt sie, habe nicht zu einem echten Perspektiv-Wechsel im immer noch sehr konservativen, eng mit der Industrie verflochtenen japanischen Politikbetrieb geführt.

Wir kommen ins Gespräch, diskutieren europäische und japanische Perspektiven, und am Ende sitzen wir den ganzen Tag in dem Mini-Wohnzimmer.

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Rie vertritt sehr ruhig aber auch sehr klar ihre Position.

Irgendwann sprechen wir auch darüber, wie schnell technische Geräte heutzutage veralten und kaputt gehen. Rie springt plötzlich auf und zeigt mir ein uraltes Radio, das im Regal steht und das mir schon vorher aufgefallen ist.

Ihr Vater hatte das kaputte Schätzchen einst gefunden und repariert. Und tatsächlich, als Rie an den Knöpfen dreht, höre ich den typischen, warmen, leicht knisternden Sound eines alten Radios.

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Turn your Radio on!

Rie ist jetzt Feuer und Flamme, kramt hinter einem Vorhang herum und zieht eine schwarz lackierte Holzkiste hervor. Ich staune nicht schlecht. Vor mir entfaltet sich ein echtes Grammophon. Rie legt eine Schellack-Platte auf und schon füllt sich der kleine Raum mit einem japanischen Schlager – vielleicht aus den „goldenen“ Zwanzigern. Es ist dieser kratzige, unverwechselbar hohe Gesang, wie er eben typischerweise von einem Grammophon kommt. Sehr nostalgisch.

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Das Grammophon ist ein Familienschatz.

Für Rie ist es ein Schatz. Auch, weil die alten Geräte sie an die besseren Zeiten ihrer Familie erinnern. Einst, erzählt sie mir, waren sie Reishändler. Und weil damals Reishändler ein lokales Monopol hatten, war ihre Familie reich. Als das dafür verantwortliche Gesetz geändert wurde und jeder Reishandel betreiben konnte, war es auch mit dem Reichtum ihrer Familie vorbei.

Der Tag vergeht darüber wie im Flug. Irgendwann fragt Rie, ob wir nicht Lust hätten, abends gemeinsam Takoyaki zu machen.

Takoyaki, das sind Kartoffelteigbällchen mit diversen Zutaten und vor allem einem kleinen Stück Tintenfisch (Tako) in der Mitte. Okay, für uns muss es auch ohne Tako gehen, denn der ist teuer.

Ist auch nicht weiter schlimm, denn unsere „falschen“ Takoyaki schmecken toll – auch, weil es einfach ein Riesenspaß ist, zusammen das Essen zuzubereiten.

Irgendwann gegen 12 Uhr rollen wir dann zum Schlafen auseinander. Voller Bauch, schöner Abend – was will man mehr?!

Ich muss zugeben, als ich Ries kleines Domizil zuerst gesehen habe, war ich nicht sicher, ob es evtl. ein Fehler war, mich hier für ein paar Nächte einzumieten. Jetzt weiß ich, es wäre ein Riesenfehler gewesen, nicht im Guesthouse Fujiya in Matsuyama abzusteigen.

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りえさん、どうもありがとうございました!Es war schön bei Dir!!!


3 Gedanken zu “Feuerwerk mit Rie

  1. Habe deine Geschichte eben mit einem Lächeln im Gesicht gelesen 🙂 wunderschön! Das erlebst du nicht als typischer Tourist mit 14 Tagen Urlaub, ohne Sprachkenntnisse und der Bereitschaft sich darauf einzulassen. Freue mich für dich! BTW: Frauke liest jetzt auch regelmäßig mit 😉

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    1. Moin, Eberhard! Hab‘ vielen Dank!!! Ja, war einfach eine schöne Zeit. Und wie Du schon geschrieben hast – ohne Zeit, Sprachkenntnisse und die entsprechende Haltung geht das nicht.
      Viele Grüße an Frauke und Danke für’s mitlesen😉👋!

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