Kilimandscharo – laufen bis zum Gehtnichtmehr

Fast genau ein Jahr ist es her, dass sich in meinem Kopf die Idee festgesetzt hat, den Kilimandscharo zu besteigen. Von der Idee zur Tat ist es allerdings ein weiter Weg – wortwörtlich!

Etwa 24 Stunden dauert es, von Melbourne über Abu Dhabi nach Dar es Salaam, der Hauptstadt von Tansania. Dementsprechend müde und geplättet komme ich an, muss aber am Flughafen noch rund eine Stunde warten, bis endlich mein Visum ausgestellt wird.

Während der Autofahrt zum Hostel sehe ich das, was man sich in Europa wohl unter „typischer“ afrikanischer Großstadt vorstellt: Verkehrschaos, staubige, mehr oder weniger kaputte Straßen, aus Wellblech zusammengeschusterte Verkaufsstände und – ja, natürlich – die offenkundige Armut vieler Menschen hier. Der Gegensatz zum reichen Australien könnte kaum größer sein.

Im Hostel lerne ich Aland kennen. Er ist Schwede mit kurdischen Wurzeln und möchte auch auf den Kilimandscharo. Schnell ist klar, dass wir zusammen nach Moshi, einer Stadt am Fuß des „Kili“ reisen werden.

Am nächsten Morgen geht es dann auch schon früh um 6 Uhr mit dem Überlandbus los. Rund acht Stunden sitzen wir im Bus, fahren durch Dörfer und kleine Städte, bis wir schließlich am Nachmittag in Moshi ankommen und nur noch mit dem Taxi in unser Hostel, das „Rafiki Backpackers“ fahren.

Mit der Deutschen Stephanie, die das Rafiki managed, hatte ich schon vorher per Mail Kontakt und signalisiert, dass ich auf den Kilimandscharo möchte. Mit Aland wären wir zu zweit, und im Verlauf des nächsten Tages schließen sich auch die Deutsche Annabell und die Portugiesin Patricia „Pati“ an. Damit sind wir zu viert, was die Tour auf den Berg etwas günstiger macht. Etwas mehr als 1.300 US-Dollar zahlt jede(r). Dafür begleiten uns zwei Führer und 14 Träger, die Zelte, Essen und unser Gepäck auf den Kilimandscharo schleppen werden. Dabei geht es über die „Machame“-Route, sechs Tage und fünf Nächte.

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vlnr: Aland, Faraja (einer unserer beiden Führer), Pati, Annabelle und der alte Mann.

Es gibt auch einen schnelleren Weg, aber die Machame-Route bietet dem Körper Gelegenheit, sich besser an die Höhe und die dünne Luft zu gewöhnen. Die sogenannte Höhenkrankheit ist nämlich der größte Feind jedes Kilimandscharo-Besteigers. Wie wahr das ist, werden wir später noch live erleben.

Am Nachmittag lernen wir unsere Führer Ally und Faraja kennen, die uns eine kurze Einweisung geben, was uns erwartet und was wir alles mitbringen müssen – vor allem viel warme Kleidung. Wer nicht alles dabei hat, kann es sich gegen eine Gebühr leihen, und so muss auch ich mir noch einen warmen Schlafsack, dicke Jacke und weitere Kleidungsstücke leihen, die ich nicht aus Deutschland mitnehmen konnte oder wollte.

Der Start unserer Tour am nächsten Morgen gestaltet sich dann erstmal gemütlich. Per Bus geht es mit dem kompletten Team zum Machame Gate – dem Eingang zur gleichnamigen Route, das immerhin schon auf rund 1.800 Metern Höhe liegt. Hier schnappen sich dann aber die Träger das schwere Gepäck und machen sich im Eiltempo auf zum ersten Camp, das ebenfalls Machame-Camp heißt.

Wir folgen mit unseren Führern auf einem Pfad, der hier noch durch dichten Regenwald führt. Das Machame-Camp liegt auf etwa 3.000 m, und wir brauchen sechs bis sieben Stunden für die neun Kilometer dorthin.
Im Camp haben die Träger bereits unsere Schlaf-Zelte aufgebaut, und in einem anderen, größeren Zelt gibt es Frühstück und Abendessen. Zu Mittag bekommen wir meist Lunchpakete mit, die wir unterwegs verzehren.

Schnell wird aber auch klar, dass das hier kein Spaziergang ist. Nachts wird es auf 3.000 Metern richtig kalt – und das wird sich in den kommenden Tagen nicht ändern.

Unser Weg führt uns nun durch immer unwirklichere Landschaften. Die Vegetation nimmt ab, bis wir schließlich durch eine Gerölllandschaft ziehen, in der die Felsen lediglich mit Moos und Flechten bewachsen sind.

Am dritten Tag – es geht auf 3.950 Meter – macht sich dann auch die Höhe sehr deutlich bemerkbar. Schon als ich vor zwei Monaten auf den Fuji in Japan gestiegen bin, der ja „nur“ etwa 3.700 Meter hoch ist, habe ich die Auswirkungen der Höhe zu spüren bekommen. Hier, auf dem Kilimandscharo sind sie aber deutlich stärker. Kopfschmerzen, Schwindel und ein sehr flaues Gefühl in der Magengegend machen den Weg nicht eben einfacher. Und natürlich stellen sich erste Zweifel ein, ob ich es schaffen werde. Hinzu kommt die beißende Kälte in den Nächten, in denen sich an den Zeltwänden sogar von innen Eis bildet.

Glücklicherweise lassen die Symptome der Höhenkrankheit aber bald wieder nach. Ganz verschwinden sie aber nicht, und bald merkt jeder aus unserer Vierergruppe verschiedene Symptome.

Am vierten Tag erreichen wir schließlich unser Basislager auf 4.600 Metern Höhe. Längst sind wir weit über den Wolken, und der Ausblick ist wirklich atemberaubend.

Aber nun wird es richtig ernst, denn nach ein paar Stunden Schlaf, der eingedenk der Höhe auch nicht wirklich erholsam ist, geht es in der Nacht um 12 Uhr los zum letzten Stück, hoch auf den Gipfel des Kilimandscharo.

Fünf Stunden steigen wir dann im Schneckentempo den Berg hinauf, immerhin noch rund 1.200 Meter. Wie wichtig das langsame Tempo ist, bekommen wir dann auch drastisch vor Augen gehalten: Drei oder viermal kommen uns andere Bergsteiger entgegen, die zu schnell auf den Gipfel wollten und nun so starke Auswirkungen der Höhenkrankheit haben, dass sie kurz vor dem Ziel umkehren müssen.

Aber auch wir müssen wirklich kämpfen. Irgendwann konzentriere ich mich nur noch auf die Schuhe unseres Führers Ally, der vor mir geht. Meine Lungen schmerzen, das Trinkwasser in meinem Rucksack ist längst zu Eis gefroren und der eisige Sturm in dieser Nacht lässt die Finger trotz Handschuhen zu schmerzenden Eisklumpen werden. Atmen und gehen – das sind die einzigen zwei Dinge, an die ich noch denken kann.

Und es geht nicht nur mir so – alle aus unserer Gruppe (bis auf unsere beiden Führer, denen das alles kaum etwas auszumachen scheint) fühlen sich elend, frieren und müssen alles geben.

Irgendwann gegen Sonnenaufgang erreichen wir dann doch den Kraterrand (der Kilimandscharo ist ein erloschener Vulkan) – fast hätte ich nicht mehr daran geglaubt. Nach nochmal rund 15 oder auch 20 Minuten durch den tosenden, etwa -15 Grad kalten Sturm erreichen wir dann endlich den höchsten Punkt Afrikas, „Uhuru Point“ auf 5.895 Metern Höhe. Ich kann nicht sagen, ob ich jemals zuvor so eine Erleichterung gespürt habe.

Hier oben kann man die letzten Gletscher des Kilimandscharo sehen, und es ist ein unglaubliches Gefühl, so hoch über den Wolken zu stehen. Aber all die Gedanken und Gefühle in Worte zu fassen, die mich hier oben bewegen, dass kann ich nicht, und ehrlich gesagt möchte ich es auch nicht.

Wir halten es vielleicht 15 Minuten in der Kälte aus, dann geht es auch schon wieder bergab. Von nun an die einzige Richtung für den Rest unserer Tour.

Am sechsten Tag schließlich kommen wir am Mweka Gate an (immer noch auf 1.500 Metern Höhe), wo wir mit dem Taxi abgeholt und zurück ins Hostel gebracht werden.

Hier gibt es dann noch einen sehr herzlichen Abschied von unseren Führern und den Trägern, mit viel Gesang und Tanz – wir sind ja schließlich in Afrika -, und dann heißt es endlich raus aus den dreckigen, verschwitzten Klamotten und unter die Dusche. Manchmal kann etwas ganz einfaches, wie eine warme Dusche, so wunderschön sein!

Ich weiß nicht, ob es nachvollziehbar ist, sich diese Tortur anzutun – für ein paar Minuten auf dem Gipfel eines riesigen, erloschenen Vulkan. Die eigenen körperlichen Grenzen auszutesten und sogar darüber hinaus zu gehen ist sicherlich einer der Gründe. Ich denke, niemand, der es auf fast 6.000 Meter Höhe geschafft hat, ist danach noch der-/dieselbe wie zuvor. Und schließlich kommen noch viele ganz individuelle Gründe hinzu, die bei jedem Menschen andere sind.

Für mich war es eine wichtige Erfahrung. Mir ist klarer als zuvor, dass ich über vermeintliche „Grenzen“ hinaus gehen kann. Und manchmal ist es auch einfach nur gut zu wissen, dass man bestimmte Dinge tatsächlich tun kann – und nicht nur von ihnen zu träumen.

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Jumping on the top of Africa😎✌️

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