Einmal Himmel und zurück

Die Glühwürmchenschlange windet sich mitten in der Nacht den Berg hoch, und es ist kein Ende abzusehen.

Die „Glühwürmchen“ sind Menschen, Wanderer mit ihren Lampen, die heute nur ein Ziel haben – den Gipfel des Fuji. Und ich bin einer von ihnen.

Begonnen hat meine Tour schon am Morgen. Denn ich habe mich entschieden, den traditionellen Weg zu gehen, beginnend am Fuji Sengen Schrein – ganz unten, am Fuß des Fuji.

Heutzutage nehmen die meisten Fuji-Touristen den Bus zur fünften Bergstation und starten von dort aus den „Gipfelsturm“. Das ist dann aber schon auf mehr als 2.000 m Höhe. Insgesamt ist der Fuji fast 3.780 m hoch und damit der höchste Berg (eigentlich Vulkan) Japans. Ach ja, und nein, er heißt nicht „Fujiyama“, sondern richtig und offiziell Fujisan (富士山). Das aber nur mal so für den Hinterkopf.

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So sieht der Fuji im Sommer aus, wenn man ihn von der Chureito-Pagode aus betrachtet.

Ich möchte nicht „schummeln“ und beschließe, den ganzen Weg zu gehen – vom Fuß des Berges bis zur Spitze und wieder zurück.

Das lässt sich zuerst auch ganz gut an. Die ersten Kilometer verlaufen über eine geteerte Straße. Doch dann wird es irgendwann immer einsamer. Die Straße wird immer schlechter, hat dicke Risse und wird offensichtlich kaum noch genutzt.

Dann, an einer kleinen Raststätten, die sich etwas geschwollen Teehaus nennt, beginnt der eigentliche Pfad.

Ich habe mich für den „Yoshida“ Trail entschieden. Das ist der bekannteste und meistbenutzte Weg auf den Fuji. Wie sich noch zeigen soll, hat das Vor- und Nachteile!

Es geht in den Wald. Vorbei an Stein-Stelen, die hier vor langer Zeit bei Fuji-Wallfahrten aufgestellt worden sind, steige ich höher und höher.

Nach ein paar Stunden ist die Vegetationsgrenze erreicht – und ich fühle meine Beine. Ich bin jetzt etwa auf Höhe der Station Fünf, also dort, wo die meisten anderen Fuji-Besteiger anfangen.

Hier wird es dann auch voller und schnell stellt sich heraus: Ja, man sollte den Fuji nicht unterschätzen, aber ein weiterer limitierender Faktor sind einfach die Menschenmassen, die sich hier hochschieben. Dazu muss man auch wissen: Der Fuji darf nur im Juli und August bestiegen werden. Davor und danach sind die Wetterbedingungen einfach zu heftig. Und so versuchen hier innerhalb von zwei Monaten rund 300.000 Menschen, überwiegend Japaner, ihr Glück.

Nach nochmal rund zwei Stunden, nun deutlich anstrengenderer Kletterei, erreiche ich die siebte Station auf etwa 2.700 m.

Hier – wie auch an anderen Stellen des Aufstiegs – finden sich Berghütten, in denen man sich einen Schlafplatz reservieren kann, um dann spät in der Nacht die letzten fünf Stunden des Aufstiegs anzugehen.

Genau das habe ich auch gemacht und kehre jetzt in der Berghütte „Hinodekan“ ein.

Draußen mehr eine Bretterbude, geht es drinnen recht gemütlich zu. Ganz traditionell japanisch gibt es eine in den Boden eingelassene Feuerstelle, über der ein kupferner Tee-Kessel hängt. Der ist angeblich von 1826, wird heute aber kaum noch genutzt. Macht nichts – gut sieht er aus.

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Das kesselt😄

Das Feuer unter dem Kessel dient heute mehr dazu, Brandeisen zum Glühen zu bringen. Alleine in der Zeit, in der ich vor der Feuerstelle sitze und meinen Willkommenstee schlürfe, werden mit den Brandeisen ein gutes Dutzend Wanderstäbe markiert. Dafür nimmt die Berghütte Hinodekan 300 Yen, also fast 3 Euro pro „Branding“.

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Brandzeichen für die Wanderstäbe. Bei uns werden da glaub‘ ich so Märkchen drauf genagelt.

Um halb sechs gibt’s noch den obligatorischen Curry-Reis (bzw. eine sehr japanische Version davon), und um sieben verschwinde ich auch in den Schlafsaal, wo schon eine japanische Reisegruppe schläft – oder es zumindest versucht.

Hier oben ist die Luft schon ganz schön dünn. Besonders deutlich wird das, als ich noch zwei eingeschweißte Riegel aus meinem  Rucksack krame, die ich am Morgen gekauft hatte. Sie sind nun prall „aufgeblasen“, weil der Luftdruck hier oben deutlich geringer ist, als unten am Fuß des Berges.

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Außerdem merke ich, dass es deutlich schwerer ist, das Gleichgewicht zu halten und mich zu konzentrieren. Irgendwie wie beschwipst ohne Alkohol.

Viel Schlaf finde ich nicht. Um zehn wird die japanische Reisegruppe von ihren Bergführern schon wieder aus den Federn geholt und kramt sich zurecht. An Schlaf ist jetzt nicht mehr zu denken.

Gegen elf quäle ich mich auch wieder in die Wanderschuhe, setzte die extra aus Deutschland mitgebrachte Stirnlampe auf und ziehe weiter – nun immer steiler den Berg hinauf.

Bald erreiche ich Stellen, an denen ich auch die Hände benötige, um mich an den zerklüfteten Felsbrocken hoch zu ziehen. Gut, dass ich auch Handschuhe dabei habe. Außerdem wird es immer kälter. Und die dünne Luft macht mir, wie auch vielen anderen, immer mehr zu schaffen.

Zwischen den Zähnen knirscht der vulkanische Staub, der hier oben alles bedeckt und die Füße schmerzen seit Stunden unter der ungewohnten Belastung. In Sachen Kleidung bewährt sich einmal mehr das Zwiebelprinzip. Bin ich noch im T-Shirt bei drückender Hitze gestartet, krame ich jetzt erst meine Fliesjacke und später auch die Daunenjacke aus meinem Rucksack. Beides ist bitter nötig, denn auf rund 3.000 m pfeift ein eiskalter Wind über die baumlosen Flanken des Fuji.  Immer wieder sehe ich aber auch Wanderer, die jetzt noch im T-Shirt und in kurzer Hose unterwegs sind, oder die sich nur notdürftig eine Decke übergeworfen haben. Meist sind es westliche Touristen.

Stunde um Stunde geht es nun steil nach oben. Und irgendwann bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich es wirklich schaffe. Ich torkele den Berg mehr hinauf als dass ich gehe, bin mir aber immerhin der Gefahr bewusst und gehe entsprechend im Zeitlupentempo. Mehr wäre jetzt eh nicht mehr drin.

Irgendwann gegen zwei Uhr morgens ist es dann aber doch so weit. Zwei weiße Steinlöwen und ein kleines hölzernes Torii zeigen mir den Eingang zum Gipfelbereich an – ich bin tatsächlich oben!

Um diese Uhrzeit bin ich einer der ersten. Jetzt heißt es noch rund drei Stunden warten bis zum Sonnenaufgang. Und das ist tückisch.

Denn jetzt, wo die körperliche Belastung des Aufstiegs wegfällt, macht sich Kälte breit. Der Wind ist eisig auf 3.700 m und auch meine drei Kleidungsschichten geraten nun an ihre Grenzen. Um drei Uhr schlottere ich am ganzen Körper.

Immerhin: Jetzt machen hier auch einige Berghütten auf und bieten warme Getränke an – natürlich zu gesalzenen Preisen. Aber egal – zusammen mit meinen letzten Nahrungsriegeln wird eine in heißem Wasser aufgeheizte Dose Kakao zum Festmahl, und endlich wird mir wieder wärmer.

Langsam aber sicher wird es um uns herum auch heller und die Sterne verblassen langsam.

Gespanntes Warten beginnt.

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Warten auf 5 Uhr.

Und dann ist es endlich soweit und die Sonne geht auf. „Goraiko“ (御来光) heißt das auf japanisch – und in diesem Wort schwingt viel mehr Emotion mit, als im nüchternen deutschen „Sonnenaufgang“.

Tatsächlich ist es ein Gefühl, das letztlich kein Foto einfangen kann. Hier oben im eisigen Wind mit vielen hundert anderen zu stehen, die sich alle in der vergangenen Nacht den riesigen Berg hinaufgequält haben und jetzt auf dieses schneeweiße Wolkenmeer unter uns zu schauen, darüber den goldenen Ball der Sonne – das ist ein Anblick und ein Gefühl, das man wohl nie vergisst.

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Geplättet aber glücklich – über den Wolken.

Was man dabei nur nicht vergessen darf – man muss ja irgendwie auch wieder runter vom Berg.

Das geht zwar deutlich schneller als rauf, ist aber nicht weniger anstrengend. Kilometer um Kilometer ausschließlich bergab zu gehen ist mörderanstrengend – auch wenn anfangs noch der Ausblick kaum von dieser Welt zu stammen scheint.

Um eins bin ich wieder da, wo ich einen Tag vorher gestartet bin. Es wirkt fast surreal, denn ich habe den Eindruck, viel länger unterwegs gewesen zu sein. An einem Ort, der zum Teil nicht ganz von dieser Welt ist.


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